Wir müssen los!

10.12.3304 by Hanni Hassildor

Müde betrat Melanie Prince die Bar und sah sich nach etwas zu trinken um. Der Alte spinnt doch heute völlig, dachte sie. Ich brauch jetzt erst mal was für meine Nerven.

Nachdem der Dicke hinter der Theke damit aufgehört hatte, den Dreck im Glas mit seinem Schmierlappen umzuverteilen, bekam sie endlich ihr Bier und ihren Doppelten. Kaum bezahlt und den Schnaps schon fast an den Lippen, kam ihr Boss durch das Schott gestürmt und rief:
»Mel lass den Schnaps stehen, und kipp dein Bier runter, wir müssen heute noch zurück! Ich brauche hier sofort die Countess und die Lightning.
Da stand er, abgewetzte Fliegerjacke, Bart und Haare in Ehren ergraut, tiefe Falten ins zu blasse Gesicht geschnitten und immer den Eindruck erweckend, zu viel Zeit im Cockpit und zu wenig beim Friseur zu verbringen, und konnte sich das Grinsen kaum verkneifen, als er ihren Gesichtsausdruck sah. Doch diese Augen. Augen die sie geradezu anblitzten in Erwartung ihrer Erwiderung. Augen, eisgrau mit grünen Sprenkeln. Augen, die immer hellwach waren und den Eindruck vermittelten, schon alles gesehen zu haben. In diesen Augen wäre sie ertrunken, wenn der Kerl nur dreißig oder vierzig Jahre jünger gewesen wäre. Und das, obwohl sie selbst schon die fünfzig überschritten hatte. Doch um sein wahres Alter machte Commander Hannibal Hassildor genauso ein Geheimnis wie um alles Andere aus seiner Vergangenheit. Ob das daran lag, dass er was zu verbergen hatte, oder einfach daran, dass er sowieso nie die Zähne auseinander bekam, konnte Melanie selbst nach zwei Jahren als seine Kampfpilotin nicht mit Sicherheit sagen. Sie wusste nur, dass er ab und an von Raumschlachten erzählte, von denen sie höchstenfalls in ihrer Schulzeit gehört hatte. Aber so alt konnte er gar nicht sein, oder doch? War aber auch egal, denn ganz sicher wusste sie, dass sie nie zuvor so viel Geld verdient hatte. Und niemals hatte er sie im Kampf hängen lassen oder unfair behandelt. Auch hatte er nie versucht, sie zu begrapschen, was auch im vierten Jahrtausend leider nicht selbstverständlich war. Aber heute noch zurück! Die ganzen 320 Lichtjahre bis Cubeo und dann wieder hierher, nur weil er wohl zu geizig war die beiden Schiffe überführen zu lassen. Das kann wohl nicht dein Ernst sein Hanni! Das lag ihr schon auf der Zunge, doch dann kam die Erinnerung an jenen fernen Abend, an dem sie sich kennengelernt hatten wieder hoch und sie verschluckte den Einwand eilig.

Damals war sie fast am Ende ihrer Laufbahn angelangt. Planetarer Shuttleservice. Bodenstation, Raumstation, Raumstation, Bodenstation und immer so weiter, alle halbe und volle Stunde, zehn Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Ständig nörgelnde Passagiere, ständige Angst, nächste Woche von einer KI ersetzt zu werden und ein Gehalt, das kaum fürs Essen reicht. Kein Gedanke mehr daran, jemals wieder ein eigenes Schiff zu fliegen und kein Gedanke daran jemals einen besseren Job als Pilot zu
finden. Denn wer einmal Orbitalshuttle flog, wurde von echten Piloten nicht mehr ernst genommen und erst recht nicht eingestellt.
Wie sie da hingeraten war? Das war eine lange Geschichte, obwohl vielleicht auch nicht. Nach dem Militärdienst erstes eigenes Schiff, natürlich auf Pump. Die große Liebe getroffen und Pläne für Hochzeit, Kinder und gemeinsame Firma geschmiedet. Dem Dreckskerl Kontovollmacht erteilt, und ehe sie sich versah, hatte er die Konten leergeräumt und war mit ihrer neuen Sidewinder auf und davon.
Ende der Geschichte, bis auf die Zinsen, die sie jeden Monat für ein Schiff abdrücken musste, das sie nie wieder sah. Für die Diebstahlversicherung hatte natürlich das Geld nicht gereicht. Seit dem hatte sie ein ziemlich gestörtes Verhältnis zum anderen Geschlecht. Mit Ausnahme von Hannibal, dem einzigen Mann, dem sie blind vertraute.
Als sie damals nach einer weiteren endlosen Schicht in die Bar ihrer Raumstation kam, saß er allein an einem Ecktisch, stierte die Wand an und versuchte einen neuen Rekord im Schnellsaufen aufzustellen.
»Na, wohl auch einen schlechten Tag gehabt?« Fragte sie ohne echtes Interesse in seine Richtung.
»Stimmt, ich habe gerade meinen Copiloten umgebracht. Und was ist ihre Ausrede?«
Melanie, die gar nicht mit einer Antwort gerechnet hatte, schaute ihn ungläubig an.
»Sie haben gerade was getan?«
»Ich habe gerade meinen Copiloten umgebracht. Spreche ich etwa schon undeutlich?«
Ungläubig sah er die halb leere Schnapsflasche vor sich an, dann winkte er sie heran.
»Setzen Sie sich und trinken Sie einen mit, dann erzähle ich es ihnen.«
Zögerlich setzte sie sich an seinen Tisch und starrte ihn misstrauisch an. Er schob ihr kurzerhand sein volles Glas rüber und nahm sich selbst die Flasche.
»Ich quassel nicht gerne, deshalb die Kurzfassung. Hab mir ´ne Anaconda gekauft, ´nen Hangar eingebaut und ´nen jungen Piloten eingestellt. Dreiundzwanzig der Bengel, top Referenzen gerade aus ´em Militärdienst entlassen. Also pack ich die Ana voll mit Unterhaltungselektronik und flieg hierher, denn so wies hier aussieht, könnt ihr jede Art von Abwechslung gebrauchen. Hätte einen schönen Schnitt gegeben, doch circa tausend Lichtsekunden vor der Station hier zieht uns ´ne FDL raus. Was solls, denk ich mir, mit dem werden wir fertig. Ich hätte es wirklich besser wissen sollen. Ehe ich mich versah, lag ich in einer Rettungskapsel. Der Junge hat es nicht geschafft.«
Er nahm einen tiefen Schluck und stierte wieder die Wand an.
»Eine Fer-de-Lance hat ihre Anaconda samt Jäger abgeschossen?«
»Nicht ganz«, seufzte er. »Kaum war das Ultimatum abgelaufen, sprangen zwei weitere FDL und eine Python rein und gaben uns den Rest. Ich hätte dem Dreckschwein einfach die Fracht überlassen sollen, stattdessen schicke ich den Jungen in dieser Seifenkiste da raus. Er hatte nie den Hauch einer Chance. Ich habe ihn umgebracht.«
»Haben sie ihn rausgeschickt bevor oder nachdem die drei Schiffe auftauchten?«
»Davor, aber das hilft ihm jetzt auch nicht mehr.«
»Aber da konnten sie doch gar nicht wissen, dass die drei reinspringen.«
»Das hätte ich aber wissen müssen, wer in ´ner FDL so ´ne dicke Lippe gegenüber einer voll bewaffneten Anaconda riskiert, muss noch ein Ass im Ärmel haben. Aber ich war so stolz auf´s neue Schiff, dass ich denk, du kannst mich mal, ich hab den Dicksten. Meinen Hochmut hat der Junge mit seinem Leben bezahlt! Ich mach das jetzt schon viel zu lange, um auf solche billigen Tricks noch reinzufallen. Scheiß auf das Schiff, das zahlt die Versicherung, aber wegen meiner Dummheit ist ein Pilot gestorben,
der sein Leben noch vor sich hatte und der auf mein Urteilsvermögen vertraut hat. So, jetzt kennen sie mein Problem, was ist ihres?«
Und obwohl sie unmöglich hätte sagen können, warum sie es tat, erzählte sie diesem Wildfremden ihr Problem. Genaugenommen erzählte sie ihm ihr ganzes Leben. Er hörte zu und trank. Trank bis die Flasche leer und die Geschichte beendet war.
Dann brummte er in seinen Bart:
»Also gut. Sie brauchen einen neuen Job und ich ´nen neuen Copiloten. Kann nach dem ganzen Desaster nicht viel zahlen, aber wenn sie wollen …« Er hielt ihr die Hand hin. Ohne auch nur eine Sekunde zu überlegen oder gar nach den Konditionen zu fragen, schlug sie ein. Hauptsache erst mal raus aus dem Shuttle, danach konnte sie sich immer noch einen anderen Job suchen. Aber das tat sie nicht, längst war sie ihre Schulden los und hatte genug für ein eigenes Schiff zusammen, doch sie blieb. Sie blieb, obwohl er manchmal wochenlang durch die Galaxy bretterte und irgendwelchen Hirngespinsten hinterherjagte, wodurch sie zwar die unglaublichsten Orte zu Gesicht bekam, aber keinen müden Cent verdiente, da sie inzwischen am Gewinn beteiligt war. Sie blieb trotz solch chaotischen Tagen wie heute, als der Alte auf die Idee kam vom Herzen des Imperiums, in den hintersten Winkel der Allianz zu fliegen nur, um dort zu verkünden, dass sie sofort wieder zurückflogen, weil sie das falsche Schiff dabei hatten. Und das ohne ein Wort der weiteren Erklärung. Aber damit wollte sie ihn heute nicht durchkommen lassen, deshalb rief sie hinterher:
»Und was machen wir hier, wenn wir wieder da sind?«
»Oh, habe ich das nicht erwähnt? Ich arbeite ab sofort hier, denn ich will nach Andromeda.«
»Andromeda was? Welches System meinst du?«
»Kein System Mel, ich meine die Galaxy. Und jetzt komm endlich, wir starten in fünf Minuten.«
»Fünf Minuten? Das reicht ja nicht mal, um in den Hanger zu rennen und sich in den Druckanzug zu zwängen und schon gar nicht um … was soll das heißen, die Galaxie? Ach verdammt!« Denn ihr Boss war schon zum Schott hinaus. Sie sah sich kurz um, lächelte unsicher Thadeus an, stellte ihm die unberührten Getränke auf den Tisch und sagte: »Hi, ich bin Melanie und gebe einen aus, sorry aber jetzt muss ich wirklich los, denn der Alte spinnt
heute völlig!.«
Und ohne seine Erwiderung abzuwarten, rannte sie hinterher.

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